Am 22. Juni 1974 kam es in Hamburg zu einem Aufeinandertreffen, das weit über die Grenzen des Sports hinausging. Ausgerechnet bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land spielte die Bundesrepublik Deutschland gegen die „Deutsche Demokratische Republik“. Es war das erste und letzte Aufeinandertreffen der beiden deutschen FIFA-Mitglieder. Mit ihm wurde der Fußball wurde an diesem Tag zur Bühne der Politik, zur symbolischen Auseinandersetzung zweier Teile eines Lands, die seit 1949 getrennte Wege gingen.
Während die Bundesrepublik schon 1954 erstmals an einer WM teilnahm und dort prompt den Titel gewann, war Fussball im anderen Teil Deutschlands lange nicht auf Weltniveau. War wurde auch die „DDR“ bereits 1952 Mitglied der FIFA, aber für eine WM konnte sich die andere deutsche Republik zunächst nicht qualifizieren. Sie scheitete in schöner Regelmäßigkeit an der Qualifikation. Und so organisierte die „DDR“ in den 1950er- und 1960er-Jahren neu.
1965 entstanden die speziell geförderten Fussballclubs
So musste beispielsweise der Oberligaclub BSG Empor Lauter große Teile der Mannschaft nach Rostock ziehen lassen. Der SC Empor Rostock übernahm während der laufenden Saison auch gleich den Oberliga-Platz der Sachsen. 1965/66 entstanden dann zehn spezielle Fussball-Vereine, um den Nachwuchs gezielter zu fördern, als das zuvor in den breiter aufgestellten Sportclubs möglich war:
- BFC Dynamo
- 1. FC Union Berlin
- FC Vorwärts Berlin (heute 1. FC Frankfurt)
- FC Rot-Weiß Erfurt
- Hallescher FC Chemie (Hallescher FC)
- FC Carl Zeiss Jena
- FC Karl-Marx-Stadt (Chemnitzer FC)
- 1. FC Lokomotive Leipzig
- 1. FC Magdeburg
- F.C. Hansa Rostock
Die Neuorganisation trug Früchte. Denn bis 1969 schafften es insgesamt nur vier ostdeutsche Vertreter ins Viertelfinale eines Europapokals. Ab 1970 erreichten die Mannschaften aus der „DDR“ regelmäßig das Viertel- oder Halbfinale. Und 1974 gelang dem 1. FC Magdeburg mit dem Sieg im Europapokal der Pokalsieger endlich ein langersehnter Erfolg. Auch die Nationalmannschaft profitierte von der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der Vereinsmannschaften.
1972 gewann die „DDR“ olympisches Bronze
Ein erstes Ausrufezeichen war der Gewinn von Bronze bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München. Vier Jahre später sollte sogar die Gold-Medaille folgen. Und dazwischen qualifizierte sich die „DDR“ erstmals für die Teilnahme an der Endrunde der Weltmeisterschaft, die 1974 ausgerechnet in der Bundesrepublik stattfand. Es gab Funktionäre, die darauf gern verzichtet hätten. Denn sie befürchteten, dass einige Spieler das Turnier im Westen zur Fluchtnutzen könnten.
Ganz abwegig war der Gedanke nicht, denn es gab bis zur Öffnung der Mauer im Herbst 1989 immer wieder Spieler, die die Gelegenheit nutzen, um zu flüchten. Doch bei der WM schafften Verband und Stasi es noch, das zu verhindern. Erst 1976 sollten Jürgen Pahl (Torwart, Hallescher FC) und Norbert Nachtweih (Mittelfeldspieler, Chemie Halle) während eines Junioren-Turniers nach Westdeutschland abzuhauen. Lutz Eigendorf (BFC Dynamo) setzte sich während eines Europapokalspiels in Kaiserslautern ab.
Die WM-Auslosung sorgte für ein deutsch-deutsches Duell!
Politisch war das Verhältnis zwischen Bonn und Ost-Berlin angespannt, obwohl der Grundlagenvertrag von 1972 eine vorsichtige Annäherung eingeleitet hatte. Als dann noch die Auslosung beide deutschen Mannschaften in die gleiche Vorrundengruppe spülte, kam es zu ersten offiziellen Länderspiel zwischen DFB und DFV – zu einem Spiel, das Millionen Menschen auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze elektrisierte. In Hamburg füllten 60.000 Zuschauer das Volksparkstadion, darunter auch viel Polit-Prominenz.
Der Favorit war klar: die DFB-Elf um Franz Beckenbauer, Sepp Maier und Gerd Müller galt als eines der besten Teams der Welt, war amtierender Europameister. Die DDR hingegen setzte auf mannschaftliche Geschlossenheit und taktische Disziplin. Das Spiel selbst verlief lange offen, ohne große Höhepunkte. Die Bundesrepublik dominierte, fand aber keine Lücke in der ostdeutschen Defensive. In der 77. Minute kam der Moment, der Geschichte schrieb: Jürgen Sparwasser schob nach einem Konter den Ball an Sepp Maier vorbei ins Tor.
1:0 für die „DDR“ – das Stadion verstummte, die Sensation war perfekt.
Für die DDR war es ein Triumph von unschätzbarem symbolischen Wert. Die staatliche Propaganda nutzte den Sieg weidlich aus, Sparwasser wurde zur Ikone. Für ihn persönlich war das Tor ambivalent: In den Folgejahren sprach er oft darüber, dass es ihn in eine Rolle gedrängt habe, die er nie gesucht hatte. In der Bundesrepublik dagegen löste die Niederlage zunächst Ernüchterung aus und doch erwies sie sich als Wendepunkt. Denn ausgerechnet die Niederlage ließ die Mannschaft der Bundesrepublik auf den zweiten Platz ihrer Gruppe abrutschen.
Stattdessen gewann die „DDR“ die Gruppe. Und das Team von Helmut Schön vermied aus Zweiter ein frühes Aufeinandertreffen mit Brasilien, Holland und Argentinien. Am Ende führte genau dieser Weg die DFB-Elf zum Titelgewinn im eigenen Land. Das deutsch-deutsche Duell von Hamburg 1974 ist bis heute ein Fußballspiel, das Symbolkraft besitzt. Es erzählt von Rivalität und politischer Aufladung, aber auch davon, wie der Sport manchmal seine eigene Dramaturgie schreibt.